Hohles Innenleben

Apfelbaumholz, 2017

 

Die Holzskulptur aus einem Apfelbaum stand bis zum
08.10.2017 in der Ausstellung des Kunstvereins im Klosterbau in Ebersberg. "Hohles Innenleben" heißt sie.

Es ist nicht einfach, die sieben Figuren zu erkennen, die aus den Wänden des hohlen Baustammes gewonnen wurden und sich am roten Leerraum festhalten. Man muss rundum gehen, um sie wahrzunehmen, und dann sieh da: Junge und Alte, Männer und Frauen kommen hervor, sehr unterschiedlich und doch alle leer.



Daphne

Feigenholz, 240 x 85 x 140 cm, 1992

 

Ein Feigenbaum stand seit Menschengedenken im Garten der Villa in San Remo. Er trug keine Früchte mehr und wurde von dem Efeu, der ihn fest im Griff hatte, beinahe erwürgt.

Das Todesurteil wurde während der Tage, die ich dort war, vollstreckt. Ich bat um die Leiche, die noch mit Laub, Zweigen und dem Efeu-Konvolut versehen war, und bearbeitete sie an der Stelle.

Der Stamm roch nach Feigen und ließ aus jeder Wunde, die ich ihm zufügte, eine weiße, klebrige Milch fließen, als wäre er eine Mutter, die längst ihr Kind verlor, ihre Brust jedoch immer noch Nahrung spendete.

Aus dem Feigenbaum wurde eine Daphne, die zum Baum wird: Ihre Füße sind bereits Zweige geworden und sie streckt sich zum Himmel, wird schmaler, das Gesicht von dem unbeschreiblichen Schmerz, ein Baum zu werden, ganz verzerrt.

 


Cassandra

Olivenholz, 52 x 18 x 23 cm , 1992

 

Der alte Olivenbaum riecht noch immer nach ranzigem Öl, wenn man sich der Figur nähert, als haftet in ihr noch ein Hauch der alten Baumseele.


Erkenntnis

Lindenholz, 100 x 30 x 50 cm, 1994

 

Ein hohler Stamm mit dem Nest eines Spechtes. Rund um die Höhlung spiegelt  sich das ewige Gespräch zwischen Mann und Weib: Sie suchen sich, kokettieren miteinander, versuchen, sich  kennen zu lernen, sich selbst zu erkennen.


Gespräch

Lindenholz, 97 x 20 x 50 cm, 1994


Boat people

Bronzeguss, 19 x 29 x 50 cm, 1995

 

Ein Flüchtlingsboot – damals, Anfang der Neunziger Jahre, gab es Hunderte davon, die die Küste von Vietnam verließen. Allesamt überfüllte Klapperkisten des Meeres, wie die heutigen. Und Tausende ertranken – wie heute im Mittelmeer. 



Flüchtlinge

Betonguss, 19 x 29 x 50 cm

 

Auch damals waren unzählige Flüchtlinge zu Fuß auf dem Weg, der heute "Balkanroute" genannt wird. Die gleichen Szenen, die gleichen Dramas, die sich heute Tag nach Tag vor unseren Augen abspielen.  

 


Der Faun
Der Faun
Die Faunin
Die Faunin

Faun und Faunin

Bronzeguss

 

Die zwei Schwestern hatten ein "von" vor ihrem Namen und wohnten seit jeher zusammen. Ihr Haus öffnete sich mit einer übergroßen Terrasse auf den noblen Nymphenburger Park in München. Im Innern Antiquitäten und kein Körnchen Staub.

Eine Annonce – Italienisch-Lehrerin gesucht – verband uns fürs Leben. Ich, vierundzwanzig Jahre alt, durchquerte die Stadt mit dem Rad, um mit ihnen Italienisch zu üben und dabei aus den dünnsten Meißener Porzellantassen Tee zu trinken.

Sie wurden meine Mäzeninnen:  "Mach uns einen Faun aus Bronze für die Terrasse!" 

Der Faun kam, Flöte spielend und viel zu keusch, für das wilde Wesen, das er war – doch dem Geschmack der Damen entsprechend.

"Mach uns eine Faunin!"  Die Faunin kam, viel zu dünn und scheu für ein wildes Weib, drahtig und voll Bewegung, tanzend oder fliehend. Dann kamen die Faunenkinder, auf einem Widder reitend, dann noch ein kleiner Faun und noch einer... 

Ich war der Faunenfamilie längst überdrüssig geworden, jedoch, wie heutzutage noch Mäzene finden?

Als die zwei Damen, eine nach der anderen, vor ein paar Jahren starben, überließen sie mir als Erbe meine Faunen. Nun stehen sie, mild, jedoch wach, auf den Torpfosten meines Ateliers, das zur Ehre der beiden Baronessen den Namen der  Faunin trägt – La Faunessa!


Prometheus

Ulmenholz, 170 x 60 x 20 cm, 1994

 

Die Dame, die das zum B & B verwandelte Haus führte, zeigte uns die im Hof gestapelten Balken : "Sie sind aus Ulmenholz, mindestens aus dem XVI. Jahrhundert, aus der Abtei Saint Gilles."

Die Abtei, wenige Kilometer entfernt, war in der flachen Landschaft der Camargue von weitem gut  zu sehen. Da ich begierig schaute, lud die Gastgeberin mich ein, ein paar Balken mitzunehmen. Das tat ich, zögernd, als ob ich nicht sicher war, es zu dürfen. 

Aus dem Ulmenholz wurde Prometheus, der Feuerdieb: 

Er hängt mit gebundenen Händen und zeigt die Wunde in seiner Brust, dort wo der Adler, als Strafe der Götter für alle Ewigkeit ein Stück aus seinem Leib reißt und frisst.



Apenninische Madonna

Eiche, 110 x 40 cm, 2006

 

Die Eiche stand seit Jahrhunderten im Oberpfälzer Wald. Noch steckten im dicken Stamm die großen Nägel, die einmal die Bank und das Kruzifix befestigt hatten. Fünf Meter lang, achtzig Zentimeter Durchmesser - Trümmer eines  Baumes , der zwar zum Teil morsch, jedoch im Ganzen die Ehrwürdigkeit seiner alten Substanz behalten hatte.

Zwei Teile aus seinem gewaltigen Körper wurden für Worte in Holz  bearbeitet, ein Stück hatte ich noch übrig. 

Als der Pfarrer von Sestino – das entlegene Dorf im Apennin, wo mein Steinhaus stand - mich nach einer Skulptur fragte, die die nackte Kapelle von San Donato schmücken könnte, schnitt ich aus der Eiche eine Madonna.

Sie gleicht mehr den Landfrauen aus der bergigen Gegend als den noblen städtischen Madonnen. Die Gläubigen jedoch, gewohnt, die Muttergottes als billige Gipsfigur – schlank, mit symmetrischen Zügen und feinen blau weißen Gewändern zu sehen, waren nicht sehr begeistert.

Doch eine Figur nimmt aus sich etwas von der Heiligkeit auf, die sie darstellt: Niemand würde sich trauen, sie zu entfernen.

Die Apenninische Madonna steht nun im Halbdunkel der kleinen Kapelle, solid und nüchtern, mehr dem Diesseits als dem Himmel zugewandt. Ein aus meiner Sicht gelungener Bund zwischem dem bayerisch – oberpfälzischen  sturen Heimatgefühl und der zugleich resignierten, als auch mutigen Entschlossenheit der Menschen aus dem Appennin, die sie nicht lieben.


Arachne, im Kabelnetz verfangen

Kirschholz, 100 x 40 cm, 2014

 

Arachne hieß die Weberin, die sich traute, Pallas Athene zum Web-Wettkampf herauszufordern, die Wette gewann, jedoch von der wütenden Göttin in eine ewig in ihrem Netz verfangene Spinne verwandelt wurde. 

So beschreibt Ovid*   ihre "Verwandlung:" … und sofort, da der traurige Seim sie berührte, floss herunter das Haar und die Nase zugleich und die Ohren. Winzig verschrumpft ihr Haupt, am kleinlichen Körper das Kleinste. "

Die Arachne unserer Zeit ist in einem Kabelnetz verfangen. Nicht anders als sie, verformt sich der im Gewirr der immerwährenden Kommunikation gefesselte Mensch.

Die aus altem Kirschholz geschaffene Figur stellt in ihrem verschlungenen Körper beide, die im Netz eingeschlossene Weberin und die im Kabelnetz verfangene Frau dar.

 

*Ovid, Metamorphosen, Buch VI, in der Übertragung von Johannes Heinrich Voß, 

Frankfurt am Main 1990


Speranza

Lindenholz, 132 x 32  cm, 2015

 

"Speranza" heißt die schwangere Frau aus Lindenholz – also "Hoffnung". 

Sie hätte sich auch "Primavera", also "Frühling" nennen und somit an die klassische Kunsttradition der Naturmetaphern anknüpfen können. 

 

Aber "Speranza" ist keine Symbolisierung eines abstrakten Begriffes. Sie stellt die immer wiederkehrende Kraft der Geburt, die Hoffnung auf das neue Leben und das Vertrauen in die unerschöpflichen Fähigkeiten der Natur da – die Natur als immer werdende Mutter. 

 

Ist der Mensch nicht Teil dieses Prozesses ? 

 

"Speranza", die aus einem Baum geschaffene Frau, führt uns vor Augen, dass der Mensch immer noch ein Teil der Natur ist.


Aus einem Stamm

Lindenholz



Olma

Ulmenholz

 

Es gibt keine Ulmen mehr. Sie sind alle von der Ulmenkrankheit befallen. Der Erreger ist ein Pilz, der die armen Bäume verdursten lässt, indem er die Wasser führenden Gefäße blockiert.

Der Pilz ist jedoch nicht der einzig Schuldige: Ihm hilft fleissig der Käfer Scolytus, der unter der Rinde der kranken Ulmen, im frischen Holz, dem Splint, seine Eier legt. Wenn die kleinen Käfer aus den Puppen schlüpfen und auf der Suche nach lebendigen Ulmen wegfliegen, tragen sie die Sporen des Pilzes auf ihrem Körper.

Vielleicht war die Ulme in meinem Garten die Letzte. Von der Weite aus gesehen schien sie prächtig mit ihrem bis zum Boden reichenden Laub, der sie wie ein Schirm umspannte. Von der Nähe sah man sofort, wie krank sie war. Die Blätter rollten sich wie Zigarren. Öffnete man sie, entdeckte man die, in weicher Watte schlafende Puppe. Und selbst die bizarr sich verbiegenden Zweige waren ein Symptom der Krankheit.

Jedoch gerade die verformten Zweige schienen mir sehr ausdrucksvoll. Am Liebsten hätte ich die Ulme an Ort und Stelle bearbeitet, bevor man sie fällte. Ich hatte jedoch Bedenken, einen Baum bei lebendigem Leib zu behauen. Am Ende ließ ich mich überzeugen und stieg auf die Bühne, die Herr Kaiser, mein Mitarbeiter, für mich rund um den Baum gebaut hatte. Es war herrlich, dort zu arbeiten.

Der Blick glitt über die Landschaft und den See hinweg … so ein Gefühl müssen die Männer dir hoch oben in einem Kran sitzen, gut kennen.

Olma blieb einen ganzen Winter lang auf ihren Wurzeln stehen, bis ich sie schließlich absägen ließ und im Atelier fertig stellte.

Ich beabsichtigte , sie in eine tanzende Inderin zu verwandeln. 

Jedoch die meisten sehen in der einarmigen Figur eine Abschied nehmende Frau. In der Tat trug Olma eine Weile – des Mottos der Ausstellung wegen – den mysteriösen Titel  "Olma geht (aus) einander".  Vielleicht passt diese Interpretation besser zu ihr. Sie neigt sich leicht hinaus , als wollte sie von der Brüstung eines Schiffes denen, die an Land bleiben, Adieu sagen …